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Dumme Zuschauer

RTL-Chefin Anke Schäferkordt hat die Erklärung gefunden für den Mangel an Innovation im deutschen Fernsehen: Die Zuschauer sind schuld. Die doofen Couchkartoffeln lassen sich einfach nicht auf Neues ein. Deswegen sei auch die Serie „Die Anwälte“ gefloppt und wäre vollkommen zu Recht schon nach der ersten Folge aus dem Programm geflogen.

Ich frage mich seitdem, ob sie wirklich davon überzeugt ist oder ob sie einfach nicht zugeben will, einen Fehler gemacht zu haben. Die Zuschauer wollen ganz bestimmt gute Serien haben, aber sie sind vorsichtig geworden. Gerade deswegen sollte ein Sender sich Mühe geben, Neugier für eine Serie zu wecken. Und ich war nicht neugierig auf „Die Anwälte“. Es wurde nur immer wiederholt, dass dort Kai Wiesinger mitspielt und dass es eine Anwaltsserie ist, und man war sichtlich bemüht, es hochwertiger aussehen zu lassen als das „Strafgericht“. Die Werbung zeigte mir nichts, was neu oder innovativ war. Ich glaubte einfach nur, es wäre ein Abklatsch von „Boston Legal“ mit Kai Wiesinger. Und weil ich die erste Folge nicht gesehen habe, werde ich auch nie vom Gegenteil überzeugt werden. Ich hatte mir nicht einmal den Termin gemerkt, an dem die Serie starten sollte. Vielleicht hätte ich bei der vierten oder fünften Folge mal reingeschaltet, wenn die ersten drei Folgen durchgängig gute Kritiken erhalten hätten und sich herausgestellt hätte, dass es kein Abklatsch ist. Mal abgesehen von meiner Skepsis brauchen viele Serien eine gewisse Anlaufzeit, um wahrgenommen zu werden. Ich wusste beispielsweise nicht, dass eine Serie mit Hugh Laurie auf RTL läuft, bis mich jemand darauf aufmerksam machte, als die erste Staffel von „Dr. House“ schon halb vorbei war.

Und was ist das Resultat des Erfolgs von „Dr. House“? Sat.1 möchte wieder Arztserien drehen. Mit einer ganz fiesen, dicken Ärztin. House meets Tine Wittler sozusagen. Und ein deutsches „Grey’s Anatomy“. Und wenn diese Serien dann auch floppen, wird Matthias Alberti von Sat.1 in den Chor einstimmen: „Die Zuschauer wollen nichts Innovatives“, obwohl gar nicht versucht wurde, uns etwas Innovatives vorzusetzen. Dabei würden wir auch mit guten Kopien zufrieden sein, wenn sie nicht so offensichtliche Versuche wären, auf fahrende Züge aufzuspringen. Wenn das britische „The Office“ 2003 bei uns gelaufen und bekannt geworden wäre, hätten die Zuschauer auch „Stromberg“ vielleicht nie ins Herz geschlossen.

Selbst wenn sich die Sender Mühe geben, hochwertiges Programm zu machen, so werden die anspruchsvollen Menschen, die man erreichen möchte, höchst skeptisch reagieren und eher einen Bogen um das Programm machen. Auch das ist nicht so rätselhaft, wie Frau Schäferkordt uns glauben machen möchte. Wenn ein Lebensmittelfabrikant ein Billigprodukt aus Gammelfleisch herstellt, wird man auch bei dem Luxusschinken aus gleicher Fabrikation Vorsicht walten lassen. Einem Sender, der am Nachmittag ohne Gewissensbisse eine typische Gerichtssendung bringt, in der hanebüchene Geschichten von Laienschauspielern vorgeführt werden, traue ich doch nicht zu, eine Anwaltsserie für den Abend mit guten Drehbüchern und durchgehend brillanten Schauspielern zu produzieren, weil sein Qualitätsmaßstab doch offenbar absolut unterirdisch ist.

Dabei ist RTL noch relativ dezent im Vergleich zu Sat.1, einem Sender, der sich nicht nur für sein Nachmittagsprogramm nicht schämt, sondern auch ohne mit der Wimper zu zucken „Schiffe versenken“, „Bratwurst braten“ und „Mensch ärger dich nicht“ als Prime-Time-Shows präsentiert und das auch noch für gutes Programm hält. Als halbwegs intelligenter Zuschauer bekommt man das Gefühl, der Programmchef möchte einen verarschen, indem er die ganzen Ideen umsetzt, die bei einem Brainstorming in der Sat.1-Zentrale zunächst im Scherz in die Runde gerufen wurden, um das Eis zu brechen. Nach einigen Monaten lässt sich das kein mündiger Zuschauer mehr bieten und wandert ab.

Bei so einem ausgeprägten Humor der Programmmacher sollte man meinen, dass die Comedyformate die absoluten Schenkelklopfer wären. Aber schon der sehr subtile Witz, dass man als Deutscher nur an einem Tag in der Woche lustig drauf sein dürfe und man deswegen alle Comedysendungen am Freitag verbraten müsste, war nicht der Brüller. Die Sender versuchen es gerne mit irgendwelchen Sketchparaden, die fast alle beliebig austauschbar sind und vermutlich auch noch alle das gleiche Autorenteam haben, wobei dann ausgelost wird, welchen Witz das Sechserpack bekommt, was für Markus Maria Profitlich drin ist und was man in die Restetonne schmeißt, um damit irgendwann eine weitere Sendung wie „Spoons“ zu produzieren, die man vor der Ausstrahlung ein paar Jahre im Archiv reifen lässt, was die Gags auch nicht frischer macht. Ich kann mich an diverse „Comedy-Acts“ erinnern wie Monty Python, Fry & Laurie oder Herricht & Preil, die ihre Sketche noch selbst geschrieben haben. So etwas scheint im deutschen Programm unvorstellbar zu sein – auch Harald Schmidt schreibt schließlich seine Gags nicht selbst.

Ansonsten dürfen „Stars“ wie Atze Schröder, Sky du Mont, Tom Gerhardt oder Bernd Stelter in eigenen Serien stereotype Charaktere spielen, bis auch der letzte Witz ausgelutscht ist (und danach dreht man trotzdem noch fünf Staffeln). Glückstreffer wie „Pastewka“ sind selten, und ich bin immer noch überzeugt, dass Mirja Boes’ „Angie“ ein geheimer Plan von RTL war, die Akzeptanz für Gewalt gegenüber Frauen wieder zu steigern. Ich bin ein sehr friedlicher Mensch, aber ich fürchte, selbst ich würde nach dem Genuss von zehn Folgen „Angie“ vermutlich anfangen, Mädels zu verhauen, nur damit sie nicht so eine nervige Krampfzicke werden wie die Hauptfigur dieser Serie. Nils Rufs „Herzog“ hätte ich gerne regelmäßig geguckt, weil mir die erste Folge gefallen hat, aber womöglich beim Einschalten des Senders noch die letzte Minute von „Angie“ zu ertragen, war einfach zu viel für mich. Ich habe mich daher darauf verlassen, mir die Folgen später im Internet bei rtlnow.de angucken zu können. Nach der Absetzung verkündete RTL, man wolle nach einem „männer-affineren Sendeplatz“ suchen. Warum denen erst nachher einfällt, dass der „Audience Flow“ von einer verkrampften Emanzen-Comedy zu einer politisch unkorrekten Chauvi-Comedy nicht ganz so reibungslos ablaufen könnte, kann ich mir nicht erklären. So ein Fehler unterläuft einem vielleicht als Frischling im Fernsehgeschäft, aber die Entscheider haben jahrelange Erfahrung und sollten gerade angesichts der Produktionskosten einer Serie so einfache Prinzipien nicht übersehen. Alternativ hätten sie vielleicht auch mit der Tradition brechen können, die letzte Minute einer Folge vom Rest durch einen Werbeblock zu trennen und nach dem Abspann gleich die nächste Serie zu beginnen, um eine Atem-, Werbe- und Einschaltpause für diejenigen einzuschieben, die sich einen feuchten Dreck um Angie und ihre Vögelfrustrationen interessieren und lieber den Charmin-Bär beim Kacken sehen würden als Mirja Boes.

Vielleicht sind diese Versager aber auch nur ein Teil des Plans, die Produktionskosten für das Fernsehgeschäft noch weiter zu senken, indem man angesichts der offensichtlichen Chancenlosigkeit fiktionaler Stoffe immer mehr auf billige Reality-Formate setzt. Schließlich spart man eine Menge Geld, wenn man nur einen Kameramann in ein Dorf stellt, um ein Landei beim Dachdecken zu filmen, und das Resultat dann mit einem Off-Kommentar versehen als „Heute bauen wir“ in den Nachmittag zu schieben. Gerüchteweise sollen sich das sogar welche angucken. Dabei war der Gedanke bei Reality-Formaten eigentlich mal, die Teilnehmer mit Herausforderungen zu konfrontieren, dabei eventuell den Fokus auf Konflikte zwischen den Kandidaten zu lenken und sie zu verschärfen. Deswegen macht es so einen Spaß, Donald Trump beim Zusammenscheißen seiner „Apprentice“-Kandidaten zuzusehen oder Gordon Ramsay beim Ausflippen in „Hell’s Kitchen“, weil irgendeine Knalltüte ein Schnitzel hat anbrennen lassen. Irgendwann erweiterte man das Format, indem man charismatische Experten zu Leuten schickte, die Probleme haben und zur Selbsthilfe angeregt werden sollten. Deswegen gibt’s „Raus aus den Schulden“ und „Rach, der Restauranttester“, die auch durchaus ein Unterhaltungspotenzial haben. Dummerweise strich man in neuen Reality-Formaten die charismatischen Experten und ersetzte sie durch Labertaschen („Das Model und der Freak“, „Familienhilfe mit Herz“). Irgendwer hatte noch die Idee, dass die besuchten Normalbürger gar nichts tun sollten, während die Fernsehfritzen ihnen die Bude aufmöbeln und die Schrankwände rausreißen („Einsatz in vier Wänden“, „Do it yourself – SOS“, „Wohnen nach Wunsch“). Die konsequente Weiterentwicklung war, dass man die Fernsehleute schließlich ganz strich und die Normalbürger beim Nichtstun und ihrem Alltag beobachtete. „So leben wir Deutschen“ oder „Abenteuer Alltag“. Wenn ich wissen will, wie ein Deutscher seinen Alltag verbringt, muss ich mich nur dran erinnern, was ich jeden Tag mache. Ich werde nicht staunend vor dem Fernseher sitzen und fasziniert anderen dabei zugucken, wie sie Brötchen kaufen, Gebrauchtwagen verkaufen oder nach Kanada auswandern, um nach drei Monaten zurückzukehren, weil sie auf voller Linie versagt haben.

Und deswegen, liebe Frau Schäferkordt, sage ich nur eines: Wenn Sie nicht wissen, was der deutsche Zuschauer will, dann sollten Sie vielleicht Ihren Platz räumen, denn die Zuschauer können Sie nicht austauschen. Aber vielleicht vertreiben Sie sie ja ganz.

Diese Kolumne wurde ursprünglich für TVMatrix.de geschrieben.

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