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Immer bereit!

Die Beichte von Günter Grass, in der Waffen-SS gewesen zu sein, hat ja ziemliche Wellen geschlagen, auch wenn man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass diese Mitgliedschaft das Beste war, was den Verkaufszahlen seines Buches passieren konnte. Nun – ich möchte nicht irgendwann von meiner Vergangenheit eingeholt werden und sag’s lieber gleich: Ich war nicht in der Waffen-SS, auch wenn es Gerüchte in der Hinsicht geben sollte.

Ich war allerdings in der DDR Mitglied der Jungpioniere. Und ich stehe dazu: ich fand’s nicht schlecht. Staatlich verordnete Jugendorganisationen haben den Vorteil, die Kinder von der Straße fern zu halten und ihnen ein bisschen Unterwürfigkeit beizubringen, was den heutigen Bälgern ausgezeichnet zu Gesicht stehen würde. Nun war die Zeit bei den Jungpionieren vielleicht nicht so lustig wie beim Fähnlein Fieselschweif, aber sie hat mich eines gelehrt: Uniformen stehen mir unheimlich gut. Uniform ist dabei allerdings etwas zuviel gesagt: Zu meiner Zeit bestand das Pionieroutfit nur noch aus dem Halstuch und dem Pionierhemd, Hose und Käppi wurden einige Jahre zuvor aus Kostengründen quasi abgeschafft.

Verziert war mein Hemd übrigens mit einem blauen Streifen am Ärmel, denn ich war Mitglied des Gruppenrates. Ein Gruppenrat wurde in jeder Klasse gewählt und bestand aus einem Vorsitzenden und mehreren Mitgliedern, die jeweils abgegrenzte Tätigkeitsbereiche hatten. Ich wollte nie in den Gruppenrat, und ich war bis zur vierten Klasse jedes Mal drin – ablehnen konnte man nur aus extrem guten Gründen, und "ich bin zu faul" wurde nicht anerkannt (ich hab’s versucht). Meine Bezeichnung war übrigens "Wandzeitungsredakteur", ich sollte also mittels Artikeln und Bildern auf der Pinnwand meine Klassenkameraden informieren und gleichzeitig propagandistisch zu wertvollen Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft formen. Da die DDR trotzdem zusammenbrach, war ich als Agitator vielleicht nicht der Erfolgreichste, aber bis heute zehre ich von den damals autodidaktisch beigebrachten Methoden, andere dazu zu bringen, meine Meinung zu teilen. (Es geht nichts über eine Diktatur, um etwas über Lenkung der Massen zu lernen.)

Grundlage guten Pionierverhaltens waren natürlich die Pioniergebote, die wir Jungpioniere auch immer auf den Pappausweisen nachlesen konnten. Bei genauerer Betrachtung fällt mir aber auf, wie oppositionell gesinnt ich insgeheim schon war.

  1. Wir Jungpioniere lieben unsere Deutsche Demokratische Republik.
    Gut, das kann hinkommen. So viel wussten wir über die Hintergründe der DDR in dem Alter sowieso nicht.
  2. Wir Jungpioniere lieben unsere Eltern.
    Jau, kommt auch noch hin. Allerdings kenne ich Leute, denen ich einen Verstoß gegen diese Regel nicht übel nehmen könnte.
  3. Wir Jungpioniere lieben den Frieden.
    Nun ja, um ehrlich zu sein, gab es genug Personen, bei denen ich friedliche Gedanken erfolgreich und ohne Gewissensbisse beiseite schieben konnte.
  4. Wir Jungpioniere halten Freundschaft mit den Kindern der Sowjetunion und aller Länder.
    Ich kannte überhaupt kein ausländisches Kind. Sonderlich vermisst hab ich es auch nicht.
  5. Wir Jungpioniere lernen fleißig, sind ordentlich und diszipliniert.
    Ich war ein Engel. Allerdings sah mein Zimmer schon damals unter aller Sau aus, und gelernt hab ich bis zu den ersten Klausuren an der Universität nicht richtig.
  6. Wir Jungpioniere achten alle arbeitenden Menschen und helfen überall tüchtig mit.
    Ganz davon abgesehen, dass zum Beispiel Straßenbahnfahrer gar nicht so scharf darauf waren, beim Fahren von Jungpionieren Hilfe zu bekommen, konnte ich mir auch besseres vorstellen als anderen Leuten Arbeit abzunehmen.
  7. Wir Jungpioniere sind gute Freunde und helfen einander.
    Es gab genug "Freunde", die ich absolut nicht ausstehen konnte und die ich ohne mit der Wimper zu zucken hätte verrecken lassen.
  8. Wir Jungpioniere singen und tanzen, spielen und basteln gerne.
    Ich spiele gerne, das geb ich zu. Das Singen ist mir polizeilich verboten worden, nachdem mein Duett mit einer Radioübertragung von Natalie Imbruglia für die letzten Maiunruhen in Berlin-Kreuzberg sorgte. Aber Tanzen und Basteln könnte abgeschafft werden, ohne dass es mich jucken würde.
  9. Wir Jungpioniere treiben Sport und halten unseren Körper sauber und gesund.
    Selten so gelacht. Der Sport und ich haben schon früh eine Übereinkunft geschlossen: Wenn wir nicht gerade zur Zusammenarbeit gezwungen werden, gehen wir uns komplett aus dem Weg. Ich guck mir nicht einmal Olympia-Übertragungen im Fernsehen an.
  10. Wir Jungpioniere tragen mit Stolz unser blaues Halstuch. Wir bereiten uns darauf vor, gute Thälmannpioniere zu werden.
    Das Hemd fand ich immer wesentlich geiler als das Halstuch, welches immer auf eine bestimmte Weise geknotet werden musste. Insofern war ich jetzt auch nicht so erotisiert von der Vorstellung, mein blaues Halstuch gegen ein rotes zu tauschen. Viel änderte sich sowieso nicht – das Halstuch wurde rot, der Streifen am Ärmel ebenfalls, und der Pionierausweis wurde ein richtiges Heftchen.


Das einzige existierende Foto von mir mit Pionierhalstuch. Und dann trag ich das nicht mal aus innerer Verbundenheit mit der Pionierorganisation "Ernst Thälmann", sondern weil ich in der Woche Tafeldienst hatte.

Als ich in der ersten Klasse zusammen mit vielen anderen Kindern den Schwur auf die Pioniergebote leistete, hätte ich tatsächlich nicht gedacht, wie viel sich ändern würde. Die vierte Klasse fiel zeitlich mit der Wende und dem Mauerfall zusammen. Wir wurden noch Thälmannpioniere, bekamen unsere roten Halstücher, gingen nach Hause und trugen sie nie wieder, denn auch in der Schule spürten wir den Umbruch. Viele Klassenkameraden waren nicht mehr da, weil ihre Eltern mit ihnen in den Westen gegangen waren. Die Fahnenappelle hörten auf, die Gruppennachmittage ebenfalls, und auch der neue Gruppenrat wurde recht zügig nach der Wahl wieder aufgelöst. Zur FDJ kam ich nie, das blaue Hemd trug ich lediglich vor einigen Jahren zum Fasching – und ich sah wieder unheimlich gut darin aus.

Die neu gewonnene Freiheit hatte in der vierten Klasse übrigens noch einen Vorteil für mich: Klassensprecher wollte keiner werden, also gewann ich die Wahl unfreiwillig. Aber diesmal konnte ich wirklich und endgültig ablehnen.

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