Klopfers Web » Texte » Kolumnen » Vorurteile

Vorurteile

Vorurteile sind schlecht, bringt man inzwischen jedem Kind bei. Vorurteile sind unfair, Vorurteile sind ungerecht. Mag ja sein. Ich versuche deswegen meistens, gegen meine eigenen Vorurteile anzukämpfen und jedem eine faire Chance zu geben. Es wäre allerdings schön, wenn die Betroffenen es mir etwas leichter machen würden, meine Vorurteile abzulegen, anstatt sie zu bestätigen.

Das fängt schon bei ganz kleinen Dingen an. Wenn jemand im Internet "Micro$oft" schreibt (man beachte die ach so clevere Nutzung des Währungszeichens anstelle des Buchstaben s), sagen mir sowohl Vorurteile als auch Erfahrung, dass ich eine unsachliche Schmähkritik auf den Redmonder Softwarekonzern erwarten kann, die im Wesentlichen auf die Ungeheuerlichkeit abzielt, dass Microsoft tatsächlich (an dieser Stelle möge der Leser bitte entsetzt keuchen) Geld verdienen und Kunden gewinnen will, was in der freien Wirtschaft etwas total Ungewöhnliches sein muss. Nun macht Microsoft zwar einiges falsch, aber ihnen ausgerechnet das vorzuwerfen, was eigentlich die Grundlage jedes funktionierenden Wirtschaftssystems ist, empfinde ich als schrecklich dusslig. Und trotzdem lese ich solche Beiträge durch und ärgere mich am Ende, dass ich wieder ein paar Minuten meines Lebens verschwendet habe, weil ich hoffte, doch noch irgendeine Form objektiver Argumentation zu entdecken.

Oder nehmen wir die Vorurteile gegen Politiker. Politiker schwafeln viel Kacke, kosten jede Menge Geld, denken nicht an das Volk und sind korrupt, haben das aber legalisiert. Wie soll man denn seine Vorurteile dagegen abbauen, wenn die Herren Volksvertreter immer wieder zeigen, dass es genau so abläuft? Und angesichts der Enthüllung, dass nun auch Mitglieder des Deutschen Bundestags unter dringendem Verdacht der Steuerhinterziehung stehen, verringert sich meine Bereitschaft zur geistigen Aufgeschlossenheit gegenüber diesem Berufsstand im Sekundentakt. Wenn schon die, die die Steuergesetze machen, sich nicht dran halten, wie können sie das dann vom normalen Bürger erwarten? (Das ist übrigens noch ein guter Beweis dafür, dass diese Leute kein bisschen ans Volk denken.)

Ein weiteres Beispiel für Vorurteile, die die Realität wohl mehr als nur zufällig recht treffend beschreiben, sind die über das Volk, dem ich angehöre. Ich rede nicht davon, dass Deutsche nur in Lederhosen herumspringen würden und zu jeder Tages- und Nachtzeit Weißwurst äßen. Auch nicht unbedingt, dass Deutsche keinen Humor hätten (auch wenn diverse lustig gemeinte Fernsehsendungen diese traurige Annahme bestätigen könnten). Nein, Deutsche fühlen sich im Verein am wohlsten. Oder besser gesagt, in über einer halben Million Vereine. Egal welch abstruse Freizeitbeschäftigung man sich auch vorstellen kann, egal welche Interessen den Hirnwindungen entspringen, man kann darauf wetten, dass irgendwo eigens ein Verein gegründet wurde, der sich mit programmatischem Ernst dieser Dinge annimmt. Es gibt Lesevereine, weil es natürlich undenkbar ist, dass man sich einfach mal so bei irgendwem trifft und Bücher austauscht, ohne dass dies durch eine Satzung festgelegt wurde. Es gibt Gesangsvereine, weil es offenbar nicht ausreicht, wenn sich Leute, die gerne singen, irgendwo versammeln und einfach mal singen, ohne jährliche Beiträge zu entrichten. Momentan wird sogar überlegt, zwei Vereine von Holocaust-Leugnern zu verbieten. Ich traue mich gar nicht, im Netz nach einem Verein der Toilettenpapierverbraucher zu suchen, weil ich Angst habe, ich könnte etwas finden.

Eventuell könnte man selbst die blödesten Vereine noch wohlwollend ignorieren, wenn sie wenigstens ehrlich wären und nicht versuchen würden, sich durch einen langen Titel einen gemeinnützigen Anstrich zu geben und so Kritikern einen moralischen Nachteil zu verschaffen. Ein paar alte Humpel kaufen sich billige Grundstücke neben einem großen Flughafen und protestieren dann dagegen, dass der Flughafen auch genutzt wird. Wie? Indem sie einen Verein gründen. Und zwar nicht etwa einen Verein der Vollpfosten und Schwachstromdenker, nein, es muss hochtrabend ein Verein "Gegen Lärmbelästigung durch Flugverkehr e.V." sein. Klar, nun muss man sich vorwerfen lassen, FÜR Lärmbelästigung durch Flugverkehr zu sein, wenn man sich nicht für diese Neuronenbremsen begeistern kann, die sich lieber hätten woanders ansiedeln sollen, wenn sie keine Flugzeuge mögen. Ich glaube, falls ich mal einen Verein gründe, der mir zur Weltherrschaft verhelfen soll, nenne ich ihn den "Verein gegen Kinderschlachtung und Eisbärenfolter", damit sich alle meine Gegner vornehmlich damit beschäftigen müssen, in der Öffentlichkeit nicht als Monster und Unholde dazustehen, anstatt mir Steine in den Weg zu legen.

Ein weiteres Vorurteil über Deutsche bestätigt sich jedes Mal, wenn ich durch die Straßen einer beliebigen deutschen Stadt gehe. Die Deutschen sind muffelig, wenn man sie nicht gerade aus der Reserve lockt. Abgesehen von Verkäufern und im Umgang mit Kunden studierten Servicefachkräften lächelt niemand (es sei denn, es ist ein Pärchen beim Vorspiel mit viel Geknutsche und Gerubbel). Im besten Fall kann man gar keine Emotionen aus den Gesichtern ablesen, wie bei Bären, aber weniger wuschelig. Im Normalfall hängen aber die Mundwinkel nach unten, die Augen sind halb geschlossen, und man hat das Gefühl, als wenn das Gegenüber gerade sämtliches Elend der Welt ertragen müsste. Insofern muss man zugeben, dass Angela Merkel unser Volk zumindest in der Mimik ganz wunderbar repräsentiert. In anderen Ländern kann man in den Gesichtern der Leute eine Lebensfreude erkennen oder zumindest eine gespannte Erwartung, was der Tag wohl bringen möge. Bei uns scheint es eine allgemeine Erkenntnis zu sein, dass immer etwas nicht stimmt. Wenn der Sommer nicht warm ist, dann ist er nicht wie er früher war. Wenn der Sommer warm und sonnig ist, dann ist diese Affenhitze ja nicht zum Aushalten. Im Winter gibt's den ganzen Käse umgekehrt. Ich habe den Verdacht, dass kein klimatisches Umfeld einen allgemeinen Konsens über angemessenes Wetter erzeugen könnte. Kein Wunder, dass ich selbst so oft schlechte Laune habe bei dieser umgebenden Muffeligkeit. Allerdings hab ich auch Angst davor aufzurufen, einfach öfter zu lächeln und uns so viel freundlicher wirken zu lassen. Denn bestimmt gründet dann gleich wieder jemand einen Verein dafür.

5
Dir hat's gefallen? Dann erzähl deinen Freunden davon!

Mehr zu lesen:

Thumbnail

Der Ernst des Lebens

Text veröffentlicht im Mai 2006
"Das Leben ist ernst!", wird einem spätestens mit der Einschulung immer vorgebetet. "Das Leben ist ernst!", heißt es, wenn... [mehr]
Thumbnail

Der Blick zurück

Text veröffentlicht im Februar 2007
Ich geb es besser zu: diese Kolumne hat mal wieder das Thema "Nostalgie". Ich hatte schon einmal was darüber... [mehr]
Thumbnail

Ein paar Worte über Rassismus

Text veröffentlicht im August 2015
Klopfer erklärt Rassismus psychologisch und gibt zu bedenken, dass wir andere Menschen vielleicht aktiv in die Arme der Nazis treiben. [mehr]
Thumbnail

Wie kann man Klopfers Web unterstützen?

Text veröffentlicht im November 2017
Klopfer erzählt, wie man helfen kann, Klopfers Web zu erhalten und besser zu machen - sowohl ohne als auch mit Geldeinsatz. [mehr]

Nach oben