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Öffentliche Verkehrsmitteilungen

An nur wenigen Orten ist man der ganzen Asozialität seiner Mitmenschen so hilflos ausgesetzt wie in den Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs. Damit meine ich zum Beispiel Leute, die in der bis zum Bersten vollgestopften Straßenbahn unbedingt ein Bier trinken müssen. Man möge doch bitte die Tätigkeiten, die die eigene Existenz erträglich machen, auf geeignetere Zeitpunkte verschieben. Ich onaniere schließlich auch nicht im Bus.

Darüber wollte ich aber eigentlich gar nicht reden. Schließlich gibt es noch andere Dinge, die einem im Pendelverkehr auf den Geist gehen. Als Musterbeispiel mögen zwei Mädchen von vielleicht 15 Jahren dienen, die mir vor einiger Zeit in der Bahn gegenüber saßen. Zunächst unterhielten sie sich über den typisch langweiligen Teenagerkram, doch dann verkündete die eine plötzlich lauthals, dass sie eigentlich mal wieder Bock auf einen flotten Dreier mit zwei Typen hätte. Die andere gab erstaunt zu, bisher über keinerlei Erfahrung mit zwei Rittmeistern zugleich zu verfügen (wofür sie auch von ihrer Freundin ehrlich bemitleidet wurde), aber ebenfalls einem gepflegten Rudelbumsen nicht abgeneigt wäre, am besten noch in den nächsten Stunden. Jedoch denke sie auch gerne an ungestümen Geschlechtsverkehr im Freien, da sie diesen wohl erst kürzlich ausgiebig erlebt habe. Der gemeinsame Konsens war jedenfalls, dass es die beiden gar heftig zwischen den beiden großen Zehen jucken würde und möglichst schnell Abhilfe gefunden werden müsste. (Ich habe die Aussagen der jungen Damen mal paraphrasiert; würde ich sie wörtlich zitieren, käme wieder der Jugendschutz angeschissen, um sich zu beschweren.)

Ein weiteres Erlebnis hatte ich in einem Regionalzug, in dem sich zwei Burschen zunächst mit Zimmerlautstärke unterhielten und dabei Bier tranken (ähem), als der eine sich plötzlich demonstrativ zurücklehnte und ohne jeden Zusammenhang zur vorherigen Unterhaltung laut sprach: „Wenn ich nach Hause komme, gibt’s erst mal Sex mit meiner Freundin. Erst kann sie mir einen blasen, und dann soll sie sich auf meinen Schwanz setzen und mich schön langsam reiten. Sie macht die Arbeit und ich hab den Spaß.“ Sein Kumpel saß ihm etwas verdutzt gegenüber und meinte dann nur: „Ja.“ Ich bewunderte seine Eloquenz, denn im Prinzip gibt es überhaupt keine angemessene Antwort auf diesen verbalen Erguss.

Beiden Fällen ist nicht nur gemein, dass sie mit Sex zu tun haben, sondern auch, dass dabei die Gesprächslautstärke um ein paar Dezibel angehoben wurde und die Informationen offenbar nicht nur für den unmittelbaren Gesprächspartner gedacht waren, sondern für alle Anwesenden. Die Botschaft: „ICH HAB SEX! JA, HALLO! DU DA! DU, DER SO TUT, ALS WÜRDE ER NICHT ZUHÖREN! ICH MÖCHTE DIR MITTEILEN, DASS ICH FICKE! UND ZWAR RICHTIG DOLL UND REGELMÄSSIG!“

Genau, wir haben es hier einfach mit ordinären Angebern zu tun, und zwar in der Arme-Leute-Variante. Reiche Leute winken lässig zur Begrüßung mit dem Ferrari-Schlüssel und deponieren ihn dann so, dass jeder Passant ihn bemerken muss. Ebenso beliebt ist auch der Hinweis auf die baldige Reise nach Hawaii oder St. Moritz, noch kurz vor der geheuchelten Klage, dass man gerade erst einen extrem stressigen Vertragsabschluss über siebenstellige Summen getätigt habe. Falls kein Alibi-Gesprächspartner vorhanden ist, der zumindest oberflächlich der Umwelt den Anschein vermittelt, dass die hingeworfenen Aufschneidereien zum normalen Gesprächsablauf gehören würden, muss es halt ein Telefonat mit dem aktuellen Modehandy tun. Es ist ein Schwanzvergleich, dessen Würdelosigkeit dummerweise zumeist nur denen auffällt, die selbst keinerlei Veranlagung haben, bei diesem Angeberwettbewerb mitzuwirken.

Der Zweck dieser Protzerei ist natürlich klar – man will die Anerkennung und den Neid anderer Leute erringen, um sich selbst besser zu fühlen. Allerdings stellt sich mir dann doch die Frage, ob diese Menschen dann überhaupt noch Freude an diesen Dingen haben, mit denen sie sich Beifall von anderen erhoffen. Macht es dem asozialen Proll tatsächlich noch Freude, wenn ihm seine Freundin einen ablutscht, ohne dass die Aussicht auf fassungslos staunende, ja geradezu bewundernde Unbeteiligte die körperliche Anstrengung der Ejakulation rechtfertigt? Könnte die 15-Jährige die Stöße ihrer Liebhaber richtig genießen, wenn sie nicht die Gewissheit hätte, in öffentlichen Verkehrsmitteln mit ihrer Schilderung für rote Ohren zu sorgen? Und ist der Geschwindigkeitsrausch in einem italienischen Sportwagen, der mehrere durchschnittliche Jahresgehälter kostet, nicht viel zu flüchtig, wenn man später keine Menschen um sich hat, in deren Augen die Sehnsucht aufblitzt, so etwas auch erleben zu können?

Bei normalen Menschen sollte das eigentlich möglich sein. Also besorgt mir den Ferrari und die lutschende Schönheit. Ich halte nachher auch die Klappe, versprochen.

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