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Steuern auf gedachten Reichtum

Natürlich bemühen sich Befürworter von Vermögensteuern oder Vermögensabgaben, Befürchtungen zu zerstreuen, dass diese dank der hohen Bewertung von Omas Häuschen die karge Rente auffressen könnten. Die Linke etwa, die eine Vermögensabgabe zur Bewältigung der Corona-Krise fordert, gab bekannt, dass nach ihren Vorstellungen ja nur 0,7 Prozent der Bevölkerung davon betroffen wären. Willkürlich wirkt diese Grenze schon, zudem will mir nicht so recht einleuchten, warum „Es betrifft doch nur wenige“ plötzlich ein Grund sein soll, deren Bedenken zu ignorieren, während man sich für noch viel weniger Menschen ein Bein ausriss, um die Angabe eines dritten Geschlechts im Personalausweis und in Stellenanzeigen durchzusetzen.

Der Wunsch nach Umverteilung von Vermögen ist stark verbreitet, und ich vermute stark, dass Neid dabei ein großer Faktor ist. Ich gebe freimütig zu, neidisch auf die Leute zu sein, die sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob sie in einem halben Jahr noch ein Dach über dem Kopf haben, oder für die ein Zahnersatz, eine Brille oder ein neues Handy kein langes Herumwälzen im Bett wegen der fraglichen Finanzierung auslöst. Aber ich hege nicht die Illusion, dass es mir oder irgendwem anders wesentlich besser gehen würde, wenn Jeff Bezos, Bill Gates oder Warren Buffett arm wären. Interessanterweise scheint es auch stark darauf anzukommen, für wie gerechtfertigt wir das Vermögen von anderen halten, um zu entscheiden, ob die Person gefälligst bluten soll oder nicht. Künstlern wie J.K. Rowling oder AC/DC gönnt man die Millionen, die sie mit ihren Werken verdienen, bei Schauspielern wird’s schon schwierig, bei einem Einzelhändler meistens aussichtslos. Je sichtbarer andere werden, die mit dem Erfolg zu tun hatten, aber dadurch nicht reich geworden sind, desto eher hegt man den Verdacht, dass das Vermögen allein durch Ausbeutung gescheffelt worden wäre, und nur weil der Boss sich den Arsch vergolden lässt, müssen andere am Hungertuch nagen.

Ein kleines Gedankenspiel zeigt allerdings, dass das bei vielen großen Unternehmen eher eine Fantasie ist. Nehmen wir an, 300.000 Leute würden mir jeweils 100 Euro schenken (ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich das für eine hervorragende Idee halte). Ich hätte dann also 30 Millionen Euro, das kann man schon mit Fug und Recht als „reich“ bezeichnen. Umgekehrt heißt das aber: Wenn man mir meine Kohle wegnimmt und sie auf die 300.000 Leute verteilt, kriegt jeder wieder nur 100 Euro. Das ist besser als in die hohle Hand geschissen, aber dürfte wohl bei niemandem ernsthaft eine grundlegende Änderung der Lebensverhältnisse darstellen. Bahnchef Lutz bekam 2018 ganze 1,8 Millionen Euro als Gehalt (inklusive Zuschlägen), auf die 320.000 Bahnmitarbeiter gerechnet wären das also pro Kopf und Monat nicht mal 47 Cent. Jeff Bezos bekam (wie erwähnt) von Amazon 1,6 Millionen Dollar im letzten Jahr. Amazon hatte 2020 knapp 1,3 Millionen Mitarbeiter, was wiederum heißt, Bezos‘ Jahresgehalt würde pro Kopf gerade mal 1,23 Dollar im Jahr ausmachen. Man kann gerne der Meinung sein, dass die Mitarbeiter zu knausrig bezahlt werden – allerdings liegt das nicht daran, dass sich der Chef zu sehr persönlich bereichern würde. Für einen großen Teil der Amazon-Geschichte kann man nicht mal argumentieren, dass die Unternehmensgewinne durch die niedrige Bezahlung der kleinen Schergen aufgeplustert wurden, um den Aktienkurs hochzutreiben, denn die meiste Zeit war Amazon defizitär, was dem Aktienkurs allerdings nicht schadete. In die Dividenden fließen die Einnahmen auch nicht, denn Amazon zahlt seinen Aktienbesitzern gar keine Dividende. (Zudem ist, wie auch schon erwähnt, der besonders arbeitsintensive Versandhandel gar nicht die wesentliche Einnahmequelle von Amazon.) Ironischerweise sieht es bei etwas kleineren Unternehmen wieder anders aus: 47 Millionen Euro bekam der Vorstandsvorsitzende des Kühlmittelkonzerns Linde, der somit der bestbezahlte Chef eines DAX-Konzerns ist. Das macht pro Mitarbeiter schon mal etwas über 633 Euro im Jahr – aber auch da würde eine Umverteilung keinen weltbewegenden Einkommenszuwachs im Monat ausmachen, zumal man eher selten von Beschwerden über die Arbeitsbedingungen und Löhne der Linde-Mitarbeiter hört.

Klar kann man verlangen, dass die Mitarbeiter ebenso von den Kurssteigerungen der Aktien profitieren sollten wie die großen Bosse ganz oben – aber wie viele Mitarbeiter wollen tatsächlich einen Teil ihres Gehalts in Aktien bekommen? Den meisten Menschen (gerade hierzulande) sind Aktien suspekt, nicht ganz zu Unrecht, der Reinfall mit der Telekom-Aktie ist auch nach Jahrzehnten noch frisch im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Wie viele normale Amazon-Mitarbeiter würden ihre Aktien beim nächsten Absturz der Börsenkurse (wie etwa zu Anfang der Corona-Pandemie, als der Preis der Amazon-Aktie um ein Viertel heruntersackte) abstoßen und sich schwören, nie wieder so ein Abenteuer zu wagen? Man muss sich auch leisten können, längerfristig Geld in Wertpapieren gebunden zu haben, damit man nicht gezwungen ist, sie frühzeitig zu verkaufen, wenn das Auto oder die Waschmaschine repariert werden muss oder der Vermieter ungeduldig mit den Hufen scharrt, weil die Miete fällig ist.

Dass gerade Wertpapiere das Vermögen der Superreichen so aufblähen und daher mit besonders viel Argwohn betrachtet werden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn Wertpapierverkäufe und Dividendenzahlungen werden durchaus besteuert. In Deutschland wird 25 Prozent Kapitalertragsteuer auf jeden Verkaufsgewinn fällig, der über dem Sparerfreibetrag liegt. (Früher galt das nur für Wertpapiere, die ab einem bestimmten Datum erworben wurden, inzwischen gilt das aber für alle.) Das ist bei anderen Vermögenswerten nicht so. Kunstwerke, Oldtimer, Pokémonkarten oder (noch) Kryptocoins: Was durch bloße Existenz keine Einnahmen beschert, kann nach einer Spekulationsfrist von einem Jahr verkauft werden, ohne dass man in Deutschland Steuern auf den eventuellen Gewinn zahlen muss. Eine Frist von etwa einem Jahr gilt auch bei selbstgenutzten Immobilien (man muss bis zum Verkauf und mindestens über zwei Silvester darin gewohnt haben). Besitzt man aber Häuser oder Wohnungen, die man vermietet, so kann man die nach zehn Jahren verkaufen, ohne auf den Gewinn Einkommensteuer zahlen zu müssen. Das ist natürlich gerade bei einem sehr aufgeheizten Immobilienmarkt interessant.

Selbstverständlich ist mir klar, dass es nicht immer mit rechten Dingen zugeht, wenn Reiche und ihre Unternehmen Vermögen anhäufen und dabei alle Register ziehen, um den Fiskus zu umgehen oder ihn gar zu bescheißen, was im Endeffekt unsolidarisch allen anderen gegenüber ist. Im Zusammenhang mit Aktien bleibt da besonders der Cum-Ex-Skandal im Gedächtnis, bei dem Steuern rückerstattet wurden, die gar nicht gezahlt worden waren. Ein ähnliches Problem sind Cum-Cum-Geschäfte. In beiden Fällen wird man den Verdacht nicht los, dass die Gesetzeslücken, die derartige Tricks ermöglichen, nicht nur aus Versehen nicht gestopft wurden.

Damit hört es nicht auf. Konzerne gründen Briefkastenfirmen in Steueroasen und übertragen ihnen die Marken und Patente. Unternehmensgewinne der eigentlich operierenden Konzerntöchter fließen dann als Lizenzgebühren ab und werden daher nicht in den Ländern versteuert, in denen sie erwirtschaftet werden. Bei Immobilienkäufen wird normalerweise Grunderwerbsteuer fällig – es sei denn, man kauft die Immobilien nicht direkt, sondern übernimmt nur fast 90 Prozent der Firma, die die Immobilie besitzt (den Rest der Anteile übernimmt zum Beispiel eine Bank für zehn Jahre, danach kann der Haupteigentümer sie ebenfalls steuerfrei übernehmen). In dem Fall wird überhaupt keine Grunderwerbsteuer fällig.

Das sind natürlich Steuervermeidungsmodelle, die (nicht superreichen) Privatleuten schon gar nicht offenstehen und somit auch Ressentiments anfeuern. Unter Steuergerechtigkeit stellt man sich etwas anderes vor, und es ist selbstverständlich, dass da Handlungsbedarf herrscht. Und natürlich muss man sich auch Gedanken darüber machen, inwieweit ein großes Vermögen eine übergroße politische Macht nach sich ziehen kann.

Aber eine neue Steuer auf (in vielen Fällen tatsächlich nur virtuelles) Vermögen zu erfinden, das scheint mir nicht der rechte Weg zu sein, und mich irritiert etwas die Bereitschaft, mit der Parteien dafür eintreten, die sonst nicht müde werden, ihren politischen Gegnern Populismus vorzuwerfen. Vermögensunterschiede sind nicht automatisch ungerecht und dass Leute auch superreich werden können, ist dann kein Systemfehler, solange Werte neu geschaffen werden können und somit gar nicht gesagt ist, dass das, was der eine hat, dem anderen genau deswegen fehlt. Und wer will schon ohne Willkür am Besitz festmachen können, ab wann der Erfolg eines Unternehmers beim Aufbau seines Geschäfts unmoralisch wird?

Natürlich muss man nicht meiner Meinung sein. Man kann gerne glauben, dass eine Vermögensteuer unabdingbar sei, um unser Land etwas gerechter und lebenswerter für die Mehrheit der Bevölkerung zu machen. Aber man sollte sich klar darüber sein, dass die Ausgestaltung so einer Steuer nicht trivial ist, wenn sie auch nur halbwegs gerecht selbst gegenüber den Besteuerten sein soll. In vielen anderen Ländern wird Vermögen ebenfalls nur teilweise besteuert (im Wesentlichen Immobilien, was bei uns über die Grundsteuer passiert), weil man auch da nicht so recht herausgefunden hat, wie man es sonst machen soll.

Wenn man also gerade jetzt vor der Bundestagswahl in Wahlprogrammen schmökert und dort als Ziel die Einführung einer Vermögensteuer liest, sollte man lieber seine Erwartungen deutlich nach unten schrauben, selbst wenn die Vermögensteuer irgendwann kommen sollte. Sie wird nicht die große Einnahmequelle für den Staat und somit auch keine Finanzierungsgrundlage für allerlei soziale Wohltaten werden. Das Elend einfach auszumerzen, indem man von den Reichen nimmt, um den Armen zu geben, mag eine romantische Vorstellung bei Robin Hood sein, aber sie ist eben auch naiv.

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