Der völkische Antisemitismus will von der Religion absehen. Er behauptet, es gehe um Reinheit von Rasse und Nation. Sie merken, daß die Menschen der Sorge ums ewige Heil längst entsagt haben. Der durchschnittliche Gläubige ist heute schon so schlau wie früher bloß ein Kardinal. Den Juden vorzuwerfen, sie seien versteckte Ungläubige, bringt keine Masse mehr in Bewegung. Schwerlich aber ist die religiöse Feindschaft, die für zweitausend Jahre zur Judenverfolgung antrieb, ganz erlöschen. Eher bezeugt der Eifer, mit dem der Antisemitismus seine religiöse Tradition verleugnet, daß sie ihm insgeheim nicht weniger tief innewohnt als dem Glaubenseifer früher einmal die profane Idiosynkrasie. Religion ward als Kulturgut eingegliedert, nicht aufgehoben. Das Bündnis von Aufklärung und Herrschaft hat dem Moment ihrer Wahrheit den Zugang zum Bewußtsein abgeschnitten und ihre verdinglichten Formen konserviert. Beides kommt zuletzt dem Faschismus zugute: die unbeherrschte Sehnsucht wird als völkische Rebellion kanalisiert, die Nachfahren der evangelistischen Schwarmgeister werden nach dem Modell der Wagnerschen Gralshüter in Verschworene der Blutsgemeinschaft und Elitegarden verkehrt, die Religion als Institution teils unmittelbar mit dem System verfilzt, teils ins Gepränge von Massenkultur und Aufmärschen transponiert. Der fanatische Glaube, dessen Führer und Gefolgschaft sich nähmen, ist kein anderer als der verbissene, der früher die Verzweifelten bei der Stange hielt, nur sein Inhalt ist abhanden gekommen. Von diesem lebt einzig noch der Haß gegen die, welche den Glauben nicht teilen. Bei den deutschen Christen blieb von der Religion der Liebe nichts übrig als der Antisemitismus.
Viel Spaß im Kampf gegen die Frankfurter Schule, Klopfer.
Und du hast doch wohl von Gruppendynamiken und der politischen Situation überhaupt keine Ahnung. Deutschland hatte einen Krieg verloren, fühlte sich durch den Friedensvertrag von Versailles gedemütigt und wurde durch die Weltwirtschaftskrise getroffen wie wenig andere Nationen auf der Welt. Das ist ein wichtiger Grund, weswegen die Nazis an die Macht kamen (und weswegen die Mär vom Juden als Sündenbock für alles auf so fruchtbaren Boden fallen konnte). Wie sie dann solche Massenbewegungen auslösen können, dass alle diesen Mist mitmachen, wurde ja schon erwähnt (Milgram-Experiment). Heißt das, jeder Deutscher war grundlegender Antisemit? Die meisten haben mitgemacht, weil alle es gemacht haben. Die brauchten keinen innewohnenden Judenhass, sie haben einfach mitgemacht bzw. verdrängt, was da passiert. Und das würde in anderen Ländern genauso passieren. "The Third Wave" hat eindeutig gezeigt, wie leicht es ist, eine Gruppe auszugrenzen und die anderen gegen sie aufzuhetzen.
Was sich die Frankfurter Schule so kurz nach dem Krieg überlegt hat, ist ungefähr so wertvoll wie die Analysen über die Kriegsschuld nach dem Ersten Weltkrieg. Also überhaupt nicht. Da gab's viele psychologische Erkenntnisse noch gar nicht, die ganze Sache war hauptsächlich ideologisch geprägt und nicht wissenschaftlich fundiert.