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Bio-Dioxin

„Nimm ein Ei mehr!“, warb man in der DDR, und gerade heute würde sich das lohnen. Es gibt nicht nur eine leckere Extraportion Dioxin, auch die Preise sind dank dieses Zusatzes nach unten gegangen. Oh, und natürlich geben sich gewisse Medien Mühe, mal wieder eine ordentliche Panik anzustacheln. Der Grund für die aktuelle Aufregung ist eine Futtermittelfirma, die stark dioxinverseuchtes Futterfett an landwirtschaftliche Betriebe ausgeliefert hatte. Dioxine sind widerlich. Sie bauen sich nur langsam ab, sammeln sich im Körper und können Krebs auslösen. Und trotzdem will sich bei mir keine Angst einstellen. Dioxine entstehen unter anderem bei Verbrennungsprozessen, und in der Natur brennt es oft. Das heißt, dass überall Dioxine herumfliegen und sich ablagern, man kann ihnen also kaum entkommen. Deswegen werden sehr niedrige Grenzwerte für Lebensmittel angesetzt, schließlich sammelt sich das Zeug über Jahre und Jahrzehnte im Körper, also will man die Gesamtsumme möglichst gering halten. Und jetzt hat man Eier entdeckt, in denen der Grenzwert mal um einige Prozent, mal um das Doppelte überschritten wurde. Die Grenzwerte sind aber nicht für jedes Lebensmittel gleich. Fisch darf ein Viertel mehr Dioxin pro Gramm enthalten, Leber gar doppelt so viel. Das heißt: Fast alle beanstandeten Eier könnte man legal zum Verzehr anbieten, wenn sie keine Eier, sondern Fische oder Schweinelebern wären. Ist also irgendwie unlogisch, wenn man Eier mit einem Schadstoffgehalt aus dem Verkehr zieht, der bei anderen Lebensmitteln noch im grünen Bereich liegt.

Trotzdem haben viele Leute jetzt Angst vor ihrem Essen. Der Berliner Kurier begleitet gerade eine Familie, die aufgrund dieses neuen Lebensmittelskandals auf Biokost umsteigt, weil die ja viel gesünder wäre. Nun möge man sich daran erinnern, wie Dioxine entstehen. Wenn irgendwo etwas Organisches verbrennt, fliegt Dioxin durch die Luft und lagert sich irgendwann auf dem Boden ab. Wenn dann ein Biohuhn in Freilandhaltung seine Biokörnchen vom Bioboden aufpickt, kann es sich daher auch eine gehörige Portion Dioxin einfangen. Und das ist kein Gedankenspiel: Eier von Hühnern in Freilandhaltung enthalten im Allgemeinen deutlich mehr Dioxin als Eier von Hühnern aus Käfig- oder Bodenhaltung. Und im Mai 2010 mussten in Deutschland einige Legehennenbetriebe geschlossen werden, weil den Tieren kontaminiertes Biofutter gegeben worden war. Biofutter! Also quasi auch das, was die oben genannte Familie jetzt mampft, weil sie Angst vor Dioxin hat. Das ist so, als würde jemand außen an der Fassade seines Hauses herumklettern, weil er gehört hat, dass so viele schwere Unfälle in Treppenhäusern stattfinden.

Was besagte Familie aber auch schon festgestellt hat: Biokost ist teuer. Natürlich: Wenn man auf viele Methoden verzichtet, die die Erträge erhöhen könnten, fällt die Ernte nicht so üppig aus, und das treibt die Preise hoch. Aber die Umwelt freut sich, oder? Das tut sie vermutlich, solange ökologische Landwirtschaft eine Randerscheinung bleibt, denn sie ist schrecklich ineffektiv. Man bräuchte über das Doppelte der heute für die Landwirtschaft benutzte Fläche, um die gleiche Menge an Nahrungsmitteln zu erzeugen, wenn man vollständig auf Ökolandwirtschaft umstellen würde. Das hieße also, dass man entweder die Natur belasten müsste, indem man ihr neue Anbauflächen entreißt, oder dass man einen Großteil der menschlichen Erdbevölkerung schlicht verhungern lassen müsste. Aber hey, wir leben ja in einer großen Industrienation, wir haben quasi bei der Geburt die Lotterie des Lebens gewonnen, wir sind vergleichsweise reich – zuerst werden also eh die braunen Menschen sterben, also was kümmert es uns?

Viele Leute haben auch die Vorstellung, dass biologisch angebautes Obst und Gemüse nie irgendwelche Pflanzenschutzmittel gesehen hätte. Auch das ist Quatsch: Biobauern dürfen keine synthetischen Mittelchen verwenden, gewisse natürliche Mittel sind aber erlaubt. So wird zum Schutz vor Insekten beispielsweise gerne Pyrethrumextrakt verwendet, ein Insektizid aus bestimmten Blumenblüten. Das Zeug wird auch in Insektensprays verwendet. Wer also gerne Apfel mit Paral mampft, kann auf das Abwaschen seines Bio-Obstes getrost verzichten. Andere Pestizide aus natürlichen Quellen sind ebenfalls erlaubt, und von denen ist auch ein großer Teil potenziell krebserregend. (Warum etwas Natürliches automatisch weniger schädlich sein soll, ist mir sowieso schleierhaft, insbesondere wenn es ausdrücklich als Gift eingesetzt wird, um Schädlinge umzubringen.) Im Endeffekt ist das aber auch egal, selbst bei konventionell hergestellten Lebensmitteln sind die Rückstände der synthetischen Pflanzenschutzmittel so gering, dass man sich davon ebenso wenig eine Krankheit holen wird wie von den natürlichen Pflanzenschutzmitteln der Biokost.

Ökologisch angebaute Lebensmittel sind also nicht unbedingt umweltfreundlicher, nicht wirklich gesünder, kosten deutlich mehr – gibt es überhaupt einen Vorteil? Manche mögen glauben, dass sie besser schmecken würden, aber komischerweise konnte das in Blindtests bisher auch nur widerlegt werden. Wer sich also gesund ernähren will, kann auf Biolebensmittel komplett pfeifen und muss trotzdem kein schlechtes Gewissen haben, aber eventuell ein dickeres Portemonnaie.

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