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Wortgewalt

Und wenn es nicht über den Staat geht, dann über die Medien, sowohl traditionell als auch sozial. Das ließ sich gut bei dem Theater um das Memo des damaligen Google-Mitarbeiters James Damore beobachten. Damore schrieb ein recht nüchternes Memo, in dem er die Versuche Googles, mehr Frauen für IT-Jobs zu begeistern, stark kritisierte, da Google den geringen Frauenanteil unter den Beschäftigten seiner Meinung nach zu sehr darauf zurückführte, dass Frauen sich von den Männern abgeschreckt, herabgewürdigt oder gar belästigt fühlen würden, und demnach ständig den Männern Benimmkurse verordnete. Damore führte an, dass sich Frauen einfach weniger für IT-Berufe interessierten und es vielleicht zielführender wäre, die Arbeitsweisen bei Google so anzupassen, dass sie den eher sozialen und kooperativen Neigungen von Frauen entgegenkommen und somit attraktiver für mehr Frauen wären. Darüber könnte man diskutieren. Hat man aber nicht, stattdessen wurde er weltweit in den Medien und den sozialen Netzwerken als Frauenfeind hingestellt – selbst jetzt schreiben Journalisten in Blättern wie der „Süddeutschen Zeitung“, Damore würde Frauen als zu dumm für IT-Jobs bezeichnen, was exakt das Gegenteil von dem ist, was er tatsächlich geschrieben hat. Der Mann wurde von Google gefeuert, weil er angeblich das Betriebsklima mit diesem (vorsichtig formulierten) Memo gestört hätte. Anstatt über seine Thesen zu diskutieren, hat man ihm seinen Lebensunterhalt genommen, weil er es wagte, das Narrativ von den armen, unterdrückten Frauen zu hinterfragen. Die Botschaft an andere: Wenn ihr nicht kritiklos das schluckt, was gerade opportun ist, dann machen wir euch fertig und ruinieren euer Leben. Und wir müssen das nicht einmal überzeugend rechtfertigen.

Und dann geht es natürlich auch nur mit der Macht der sozialen Medien im Internet. Im Dezember 2013 flog eine bislang vollkommen unbekannte US-Amerikanerin namens Justine Sacco nach Südafrika. Kurz vorher tweetete sie noch: „Flieg nach Afrika. Ich hoffe, ich krieg kein Aids. Nur ein Scherz, ich bin weiß.“ Das kann man witzig finden oder nicht. Aber auch wenn man es nicht witzig findet, kann man darin immerhin noch eine Art satirische Anspielung auf Amerikaner sehen, die wenig über die Welt wissen.

Während die Frau in der Luft war, ging der Tweet viral. Tausende Leute, die Justine gar nicht kannten und auch nicht viel mehr von ihr wussten, als in ihrem Twitterprofil stand, empörten sich darüber und kannten nur ein einziges Ziel: das Leben dieser nichtprominenten Frau zu zerstören. Sie sorgten dafür, dass die Frau noch in der Luft gefeuert wurde, wobei sie erst bei der Landung davon erfahren würde. Das Hashtag #hasjustinelandedyet trendete stark, und am Ende war die Mission gelungen: Die Frau musste für ihr schreckliches Verbrechen – einen Witz auf Twitter – schwer büßen. Ihr Job war weg, sie konnte nicht mal mehr in der Branche (Public Relations) arbeiten, selbst die Partnersuche war kaum mehr möglich, weil sie nur noch als dieses furchtbare Monster gesehen wurde, das sich über aidskranke Schwarze lustig macht. Ob das tatsächlich eine angemessene Strafe für ihren Tweet war, das hat niemand gefragt. Der Online-Mob bildete sich, schaukelte sich hoch, und am Ende versuchte jeder, die anderen darin zu übertreffen, wie grausam man Justine bestrafen sollte. So ein aufgepeitschtes Verhalten beobachtet man bei fast jedem Shitstorm, egal welche Überzeugung damit verteidigt werden soll.

Und das ist nicht verwunderlich. Es fühlt sich irrsinnig gut an, Teil eines Mobs zu sein. Man ist in einer Gruppe, man tritt gemeinsam für eine Sache ein, und man kann Anerkennung gewinnen, je radikaler man für die gemeinsame Sache eintritt, was dann natürlich für einen wohligen Dopaminschub sorgt, wenn man die lobenden Reaktionen auf die Bosheiten sieht, die man selbst gegen das zum Freiwild erklärte Ziel abgeschossen hat. So ein Mob spricht die sozialen Bedürfnisse von Menschen unheimlich stark an, quasi Gruppenhandeln auf Doping. Auch das spielt in die Leichtigkeit hinein, mit der die Gewalttaten gegen Andersdenkende verübt werden, von denen ich oben in den Absätzen über die Entmenschlichung schrieb. Wer Leute für ein radikales Ziel wirklich begeistern will, muss ihnen ein Feindbild und die Möglichkeit geben, sich zu einem Mob zu entwickeln. Dabei hilft das Internet natürlich extrem, weil sich viele Gleichgesinnte finden können. Wer der Meinung ist, einer großen Gruppe anzugehören, fühlt sich in seinem Engagement viel mehr bestätigt und wird sich viel energischer für sein Ziel einsetzen.

(Kleiner Einschub: Das war auch ein Grund, warum man im Römischen Reich davon absah, Sklaven besonders zu markieren, weil man befürchtete, ihnen würde dann erst so richtig klarwerden, wie viele sie sind und welche Macht sie eigentlich ausüben könnten, wenn sie sich zusammenschlössen. Und aus dem gleichen Grund ist es für Diktaturen immer wichtig, die Medien zu kontrollieren, um zu verhindern, dass Oppositionelle voneinander erfahren und eventuell merken, wie zahlreich sie eigentlich sind und wie gut daher ihre Chancen wären, sich gegen die Diktatur aufzulehnen.)

Die Leichtigkeit, mit der aus Sympathisanten ein Mob wird, die Bereitwilligkeit, sich vorbehaltlos mit einer Bewegung zu assoziieren, die (vorgeblich) die gleichen Ziele befolgt, die Selbstverständlichkeit, mit der man selbst ohne gute Begründung auf den Gegner losgeht – all das sorgt dafür, dass es nicht einmal eines Masterminds bedarf, der all diese Mechanismen sorgfältig aufeinander abstimmt, um andere Menschen zu seinen Schachfiguren zu machen. Es reicht schon ein Auslösereiz bei jemandem, um einen Beißreflex anzuregen, der sich in einer öffentlichen Empörung äußert, die wiederum den Auslösereiz auf andere verbreitet, also tatsächlich viral.

Die deutsche Politik liefert dafür regelmäßig ein Déjà-vu-Erlebnis. 2015 erzählte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem öffentlichen Auftritt, dass nicht jeder Einwanderer in Deutschland bleiben könne. Eine Selbstverständlichkeit, aber sie wurde dafür schwer kritisiert und als herzlos beschimpft, was offensichtlich auch ihre anschließende Flüchtlingspolitik beeinflusste. 2016 sagte Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, dass Deutschland nicht jeden aufnehmen könne und dass Leute, die ihr Gastrecht missbrauchen, es auch verlieren können. Dafür wurde sie schwer angegriffen und von ihren eigenen Parteigenossen in die Nähe der AfD gerückt. Und 2018 erzählte Andrea Nahles, dass wir nicht alle bei uns aufnehmen können, und wurde dann von Landesverbänden ihrer eigenen Partei in die rechte Ecke gestellt. Es ist eine Binsenweisheit. Wir können nicht jeden aufnehmen, der hierher will. Und dennoch: Jede der drei Frauen wurde nahezu reflexartig scharf angegriffen, als sie diese Binsenweisheit offen sagten. Von den Kritikern konnte allerdings keiner schlüssig erklären, was denn die Alternative wäre. War ja offenbar auch nicht nötig, der Beißreflex der Empörung funktionierte prima.

Abseits der deutschen Politik ließ sich ein ähnlicher Reflex auch ganz gut anlässlich der Hochzeit von Prinz Harry mit Meghan Markle beobachten, genauer gesagt bei einem Social-Media-Posting vom Negerkuss-Hersteller „Dickmann’s“. (Ja, ich schreib „Negerkuss“. Leckt mich.) Da war ein fröhlicher Negerkuss im Brautkleid zu sehen. Und die deutsche Gesinnungsbrigade war empört, weil sie darin ganz offensichtlich ganz klaren Rassismus sahen und eine Anspielung auf Meghan Markle witterten, die eine afroamerikanische Mutter hat. Und sie forderten wegen dieser Ungeheuerlichkeit eine demütige Entschuldigung des Süßspeisenfabrikanten.

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Aber keiner konnte erklären, WAS denn jetzt an dem Bild genau rassistisch sein sollte und weswegen sich zum Beispiel die Braut davon angegriffen fühlen könnte. Erst mal ist ein Negerkuss (mit dunkler Schokolade) einfach nur das Produkt, mit dem man „Dickmann’s“ am ehesten assoziiert. Diesem Negerkuss also ein Brautkleid anzuziehen für so ein knuffiges Hochzeitsbildchen, ist also gar nicht abwegig. Es gibt gar keinen Grund, davon auszugehen, dass da eine Anspielung auf Meghan Markles Hautfarbe eine Rolle spielte – zumal die Hautfarbe der Frau gar nicht wirklich dunkel ist und diese Assoziation in dem Fall daher noch bemühter wäre als sowieso schon. Ich glaube, die meisten Leute wissen nicht mal, dass die Frau eine schwarze Mutter hat. Man darf sich schon die Frage stellen, ob da nicht eher ein Problem bei den Leuten liegt, die tatsächlich sofort aus diesem Bild eine Anspielung auf die Herkunft der royalen Braut lasen. (So ähnlich wie bei den Leuten, die aus Geschimpfe über mächtige Strippenzieher sofort auf Antisemitismus schließen, obwohl sie selbst ja dann diejenigen sind, die die mächtigen Strippenzieher auf Anhieb mit Juden assoziieren.) Oder wollen die Kritiker etwa sagen, dass schwarze Mädchen (oder dunkelbraune Negerküsse) sich so eine royale Traumhochzeit nicht angucken und sich dabei wünschen dürfen, an der Stelle der Braut zu sein?

Aber selbst wenn das Bild eine Anspielung auf ihre Hautfarbe gewesen und Meghan tatsächlich deutlich dunkler wäre: Na und? Kann man aus dem Bild auch nur auf eine entfernteste Art irgendeine Herabwürdigung herauslesen? Ganz offensichtlich würde der Hersteller sein eigenes Produkt nicht heruntermachen. Die Negerkuss-Braut auf dem Bild sieht auch ziemlich glücklich aus. Sollte tatsächlich schon die Erwähnung von Hautfarben rassistisch sein? Ich finde eine Verleugnung von körperlichen Attributen nicht gerade aufgeklärt und tolerant. Gar nicht zu erwähnen, dass jemand hell- oder dunkelhäutig ist, deutet eher an, dass die Hautfarbe eben doch ein Problem ist. Schließlich ist das Reden über Augenfarben bei uns ja auch kein Tabu. Natürlich wäre es etwas anderes, als wenn man ständig nur die Hautfarbe erwähnen und die Person allein darüber definieren würde, aber es sind eben die Extreme, die das Problem darstellen, nicht die bloße gelegentliche Erwähnung.

Aber all diese Gedanken hatte sich der Online-Mob nicht gemacht. Allein die mögliche Interpretation, dass hier auf eine Hautfarbe angespielt werden könnte, reichte schon aus, um den Zorn zu erregen. Dabei hat das krampfhafte Verschweigen von Unterschieden noch nie Toleranz oder Akzeptanz befördert, genauso wie das verkrampfte Verschweigen von Problemen noch nie zu deren Lösung beigetragen hat.

Konservative und Rechte zitieren gerne einen Spruch, den sie (fälschlicherweise) Voltaire zuschreiben: „Um herauszufinden, wer über dich herrscht, finde heraus, wen du nicht kritisieren darfst.“ Das ist so natürlich nicht korrekt; man kann viele Leute und Institutionen problemlos und ohne Konsequenzen kritisieren, die auf die eine oder andere Art Macht über einen ausüben. Aber es ist auch nicht ganz verkehrt: Es gibt Leute und Bewegungen, die man nicht kritisieren kann, ohne um seine Existenz fürchten zu müssen, und das nicht etwa, weil man gegen Gesetze verstoßen würde oder auch nur etwas objektiv Menschenfeindliches vertreten hätte. Diese Personen und Bewegungen haben also auch Macht. Die große Ironie besteht darin, dass diese Personen und Bewegungen gerade oft deswegen Macht haben, weil sie sich als Unterdrückte oder deren Unterstützer darstellen und somit auf Mitleid und soziales Verantwortungsgefühl der Masse zählen, um Einfluss auszuüben.

Das ganze Resultat dieses Kampfes um Köpfe, Herzen und Deutungshoheit: Bei mir gehen inzwischen sämtliche Alarmglocken an, wenn irgendjemand versucht, in erster Linie meine Emotionen anzusprechen, um meine Unterstützung für irgendeine Sache zu gewinnen. Wenn mir irgendwer erzählt, was für eine Ungeheuerlichkeit ein anderer gesagt oder geschrieben hätte, für die ich diese Person oder seine Gruppe verachten müsste, gebe ich mir Mühe, die Quelle dafür zu finden, um festzustellen, was tatsächlich gesagt wurde. Oft muss ich merken, dass das Gesagte deutlich weniger skandalös ist und die Empörung oft nur auf der schlimmsten Interpretation beruht, bestimmte Zitate ignoriert oder die ganze Sache gar komplett erstunken und erlogen ist.

Wenn ich mir was wünschen darf: Ich hätte gerne viel Geld. Aber wenn ich das hätte und mir noch was wünschen dürfte, dann wäre es … gut, eine Partnerin. Aber gleich danach würde ich mir wünschen, dass die Gesellschaft lernt, wieder zivilisiert miteinander zu reden, nicht immer das Schlimmste vom Gegenüber annimmt und vor allem auch damit klarkommt, dass Leute unpopuläre Meinungen haben und sie äußern dürfen, ohne dass man sie durch direkte Gewalt oder Entzug der Lebensgrundlage dazu zwingen will, ihre Gedanken einfach nicht zu äußern. Wer nur Einheitsmeinungen mit höchstens minimalen Abweichungen zulässt, kann nämlich auch nicht behaupten, lupenreiner Demokrat zu sein.

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