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Der Blick zurück

Ich geb es besser zu: diese Kolumne hat mal wieder das Thema "Nostalgie". Ich hatte schon einmal was darüber geschrieben, fast genau vor einem Jahr. Dieser Text hier geht allerdings in eine andere Richtung...

Früher war alles besser. Gut, stimmt nicht. Aber es kommt einem so vor. Ich hatte bisher immer gedacht, dass das am Alter liegt. Man wird weiser, verdrängt die Erinnerung an schlechte Aspekte, vergleicht die zumeist einfachere Vergangenheit mit dem stressigen Alltag von heute – im Endeffekt schien die Änderung der eigenen Sichtweise ein Hauptgrund für diese Nostalgie zu sein.

Inzwischen bin ich aber wieder etwas weiser geworden und habe festgestellt: die Gegenwart ist in vielen Aspekten im Vergleich zur Vergangenheit nicht einfach so scheiße. Es ist noch schlimmer: die Gegenwart versucht oft einfach nur, die Vergangenheit zu imitieren und scheitert dabei kläglich. Der Verfall geht so schnell voran, dass man einer Castingband wie No Angels, die man vor 5 Jahren noch ziemlich öde fand, inzwischen im Hinblick auf ihre Epigonen á la Nu Pagadi oder Monrose doch eher eine Qualität in der oberen Hälfte der Wertungsskala bescheinigen muss. Auch von gestandenen Popstars kann man nicht erwarten, etwas neues zu produzieren, um der Gegenwart einen eigenständigen Charakter zu verleihen. Madonna schaffte es bei "Hung up" gerade mal, einen Tonschnipsel aus einem alten Abba-Song mit ihrem kaum vorhandenen Stimmchen zu unterlegen, und scheffelte damit weltweit Millionen.

Nicht zu vergessen Tokio Hotel. Kreischende Mädchen gab’s ja schon immer – aber dass ein Emo-Bübchen, welches die alten Frisuren von Tina Turner aufträgt und an Androgynität mit Boy George konkurriert, kiloweise Mädchenschlüpfer vor die Füße geworfen kriegt (und das nicht, um sie zu waschen), macht die ganze Begeisterungsfähigkeit noch lächerlicher als sie sowieso schon ist.
Kleiner Einwurf am Rande: ich hab letztens gehört, das Unterwäscheschmeißen geht auf den unterbewussten Wunsch der pubertierenden Mädchen zurück, die avisierten Sexualpartner mit ihrem intimen Duft zur Begattung zu animieren. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber beim Gedanken an den konzentrierten Mösenmief von 200 Mädchen kurz vor der ersten Periode wird mir ziemlich übel...
Zweiter kleiner Einwurf am Rande: Die Word-Rechtschreibprüfung kennt das Wort "Castingband" nicht, aber dafür "Mösenmief". Interessant.

Im Film und Fernsehen geht das Imitieren vergangener Erfolge noch unverblümter vonstatten. Filmproduzenten in den USA fleddern alte Fernsehserien wie "Verliebt in eine Hexe", wobei die daraus entstehenden Filme zumeist nur ein langer "Guckt mal, die leben heute noch wie in den 70ern!"-Witz sind. In Deutschland vergreift man sich lieber an historischen Ereignissen und schafft es, die reale Tragik von Bombardements, Sturmfluten und Schiffsuntergängen in schmierigen fiktiven Liebesgeschichten zu ersäufen.
Bei Fernsehshows sieht’s noch furchtbarer aus. Rudi Carrell hatte in den 70er Jahren eine Sendung namens "Am laufenden Band". Und was hatte im letzten Jahr die ARD als große Samstagabend-Show im Programm? "Am laufenden Band", moderiert von Florian Silbereisen.

Anderes Beispiel: in den 60er Jahren brachte Chris Howland "Die versteckte Kamera" nach Deutschland. Und was läuft 40 Jahre später regelmäßig im Fernsehen? Die gleiche Sendung, nur eben unter dem Titel "Verstehen Sie Spaß?" oder "Die Comedy-Falle". Noch ein paar Stufen schlimmer sind die Heimvideo-Sendungen. Vor über 10 Jahren waren sie für kleine Fernsehsender lediglich ein Mittel, billiges Programm für die paar Leute zu produzieren, die es lustig finden, kleine Kinder vom Dreirad fallen zu sehen. (Und in der ARD war "Pleiten, Pech und Pannen" schließlich ein Mittel, das durchschnittliche Zuschaueralter um ein paar Jahre zu drücken, weil wehrlose 10jährige vor den Fernseher gesetzt wurden, damit die Mama mal mit dem Papa im Schlafzimmer verschwinden konnte, aber das nur nebenbei.) Heutzutage läuft derselbe Kram nicht nur auf den kleinen Sendern ("Upps – Die Pannenshow"), sondern auch auf den großen ("Upps – Die Super-Pannenshow"). Als Steigerung kaufen die Medienkonzerne sich dann noch Clipseiten á la Clipfish, MyVideo oder Sevenload, um sich dort ganz ohne Honorarzahlungen bedienen zu können, auch wenn die Bildqualität höchst beschissen ist. Ganz blöde Nutzer dieser Internetseiten freuen sich natürlich, dass ihr Video auf Sat.1 lief, anstatt zu merken, dass sie ausgebeutet wurden.

Man sollte eigentlich meinen, dass gerade ein neuer Fernsehsender, der sich bei den Zuschauern etablieren muss, einen Versuch starten würde, sich mit frischen Ideen von der Konkurrenz abzuheben. Insofern war ich gespannt, was sich Comedy Central einfallen lassen würde, da der Kanal ankündigte, nicht einfach nur amerikanische Serien abzuspielen. Und was kam dabei heraus? "Para-Comedy – körperlich behinderte Comedians führen ahnungslose Passanten in die Irre!" Super. "Versteckte Kamera" mit Krüppeln – soll das wirklich frisch und neu sein? Ein Krebsgeschwür wird nicht besser, nur weil es eine neue Farbe annimmt. Angeblich auch ganz neu: "u.A.w.g. – Um Antwort wird gebeten". 5 Leute, die sich für lustig halten, sitzen im Kreis und reden über aktuelle Ereignisse. Die einzige Verbesserung zu den bisherigen Versuchen dieser Art ist, dass weder Ingolf Lück noch Gabi Köster dabei sind (dafür hab ich "Vince" vom X-Team dort gesehen...).

Selbst außerhalb des Unterhaltungsbereiches scheitert man kläglich daran, die Vergangenheit nachzuahmen. Dass ein US-Präsident namens George Bush gegen Irak in den Krieg zieht, war Anfang der 90er Jahre recht erfolgreich, die Neuauflage dagegen krankt so sehr an der Umsetzung, dass sogar das amerikanische Volk selbst inzwischen keine Lust mehr hat, sich damit zu beschäftigen. Und das will bei den kriegslüsternen Nordamerikanern echt was heißen.
In Deutschland versucht man von Regierungsseite wie früher, möglichst lückenlos herauszukriegen, was wir tun, schreiben, lesen und denken – aber übersieht dabei, dass wir früher wenigstens keine Arbeitslosigkeit hatten und die Miete für eine Wohnung im zweistelligen Bereich lag.

In Potsdam möchte die Politik die Vergangenheit sogar ganz bewusst vergewaltigen. Auf dem Gelände des nicht mehr existierenden Stadtschlosses soll ein neues Stadtschloss als Landtagssitz entstehen, wofür dann auch die Verkehrsführung für einige Millionen Euro komplett umgestaltet werden muss. Anstatt allerdings eine originalgetreue Kopie des Schlosses aufzubauen, die die ganze Mühe wenigstens im Sinne der Wiederherstellung eines historischen Stadtbildes rechtfertigt, möchte man einen hässlichen Stahlbetonbau errichten, der lediglich im äußeren Grundriss an das alte Schloss erinnert. Ich lebe in Potsdam und erwarte immer noch meine baldige Inthronisierung als deutscher König. Was die dort bauen, soll vielleicht mal mein Eigenheim werden. Ist es da zu viel verlangt, dass die ein wenig auf die Kosten achten und verhindern, dass ich die ganze Kacke wegen akuter Hässlichkeit nach meiner Machtergreifung wieder einreißen muss? Nicht zu vergessen, dass ich ja quasi gezwungen bin, die Verantwortlichen für solche Bausünden köpfen zu lassen.
Aber auf eines kann man sich dann freuen: Dann wird die Gegenwart endlich mal besser als die Vergangenheit...

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