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Biste was, haste was

Mitte November 2009 gab einem die Boulevardpresse wieder einmal die Gelegenheit, über die verrückten Exzesse der Reichen und Berühmten ausgiebig den Kopf zu schütteln. Diesmal war das Ziel wieder die schon berüchtigte Mariah Carey, die bei einem Besuch in London angeblich nicht nur einen Zauberstab, 20 Kätzchen, 80 Wachleute und 100 weiße Tauben haben wollte, sondern auch mit den Beförderungsmitteln nicht zufrieden gewesen sei und drei Luxuslimousinen abgewiesen haben soll, weil sie darauf bestanden hätte, in einem Rolls-Royce zu fahren. Das Problem an der ganzen Geschichte: Sie war erstunken und erlogen. Und trotzdem hat sie jeder geglaubt (außer mir – ich denke nicht, dass Mariah Carey Stil genug hätte, einen Zauberstab auf ihren Wunschzettel zu setzen, um ihre Lakaien zu schocken). Noch viel erstaunlicher fand ich aber, dass man nicht nur so bereitwillig glaubte, dass diese Frau tatsächlich all diese Wünsche geäußert haben könnte, sondern dass man auch wie selbstverständlich davon ausging, dass alles versucht wurde, ihr diese Wünsche auch zu erfüllen, obwohl die Frau für ihre Anwesenheit bereits fürstlich bezahlt wurde. Die Erwartung, dass man Prominente (bzw. Reiche) mit allerlei Firlefanz noch zusätzlich dafür belohnen sollte, dass sie prominent (bzw. reich) sind, scheint in den Menschen ziemlich tief verankert zu sein.

Das ist natürlich kein neues Phänomen. Gottfried Keller schrieb 1874 seine Novelle „Kleider machen Leute“ über dieses Thema, aber weil ich das in der Schule lesen musste und deswegen doof finde, verweise ich lieber auf Mark Twain und seine Kurzgeschichte „The Million-Pound Bank Note“. In dieser Geschichte landet ein mittelloser Amerikaner in London und wird Gegenstand der Wette zweier wohlhabender Brüder, die herausfinden wollen, ob dieser Amerikaner in dieser ihm fremden Stadt einen Monat lang unfehlbar überleben könne, wenn er nur im Besitz der Million-Pfund-Banknote sei. Diese Banknote wäre im normalen Zahlungsverkehr nutzlos (weil niemand herausgeben könnte), und bei den Banken würde man ihn sofort festnehmen, da er nicht nachweisen könne, wie er an diesen Geldschein gekommen sei. An sich ist diese Banknote also für ihn wertlos, aber er merkt rasch, dass die Leute ihm faktisch alles schenken und ihm zu Füßen liegen, sobald er den Schein zückt. Er ist also ein gemachter Mann, ohne mit seinem Reichtum tatsächlich etwas bezahlt zu haben.

Wenn man sich moderne Berichte von Trickbetrügern durchliest, die im Anzug bei Nobelhotels vorfahren, sich als die Gesandten reicher Ölscheichs vorstellen und dann ohne Probleme erst einmal drei Wochen in der Präsidentensuite herumhuren können, hat sich in den letzten 115 Jahren offenbar nichts am Grundprinzip geändert. Und natürlich nutzen auch Prominente diese Freigiebigkeit aus. Dieter Bohlen gab bei Johannes B. Kerner offen zu, dass er seine Bekanntheit einsetzt, um möglichst viel Krempel gratis zu kriegen – und setzte dann noch dazu: „Das kennst du doch auch!“ Na klar kennt der das auch, Kerner kriegt bestimmt nicht nur seine Geflügelwurst kostenlos. Als Oliver Pocher (damals Werbegesicht vom Media Markt) gefragt wurde, ob er nun in den Elektromärkten Mitarbeiterrabatt kriegen würde, hat er wohl keinen Witz gemacht, als er sagte: „Nee, ich krieg das alles umsonst.“ Er hat zwar dabei gelacht, aber das würde ich auch tun bei dem Gedanken, mir einfach mal einen Plasmafernseher unter den Arm klemmen und rotzfrech aus dem Laden schlendern zu dürfen und dabei noch freundlich von den Mitarbeitern gegrüßt zu werden. Vermutlich hätte er damals auch Geschlechtsverkehr von der „süßen Maus aus der Bügeleisenabteilung“ verlangen können, und die einzige Rückfrage wäre gewesen, wohin er zu ejakulieren gedenkt. Ist halt echt prima, prominent zu sein.

Natürlich sind nicht alle Promis in dieser glücklichen Lage, aber ab einem gewissen Bekanntheitsgrad spart man vermutlich schon jede Menge Geld für Kinokarten, weil man so oft auf Premieren und den dazugehörigen Partys eingeladen ist. Allerdings muss man sich dann auch immer in Schale schmeißen, darf nicht mit Popcorn herumsauen und muss bis in die Puppen mitfeiern, weil es sonst wieder in der Boulevardpresse heißt, dass man unverschämt früh abgehauen wäre, um seine Begleitung in eine Hotelmatratze zu nageln. Ich muss daher sagen, dass ich in diesem Punkt nicht einmal besonders neidisch bin, denn in viertklassigen Wurstblättern etwas über meine mangelnde sexuelle Beherrschung lesen zu müssen, erscheint mir dann doch ein etwas zu hoher Preis für einen Kinoabend zu sein.

Ich frage mich allerdings, was diese Freigiebigkeit gegenüber Prominenten mit den Prominenten selbst macht. Wenn einem so oft gezeigt wird, dass der bloße Fakt der Existenz Bezahlung genug für Waren und Dienstleistungen von gewissem Umfang ist, kann man eigentlich vermeiden, eine Erwartungshaltung in dieser Hinsicht zu entwickeln? Ich kann mir vorstellen, dass ein Mensch, der dauernd eine Flasche Champagner spendiert bekommt, sobald er zu Besuch kommt, irgendwann ganz natürlich erwartet, eine Flasche Champagner zu bekommen, und dann schwer enttäuscht reagiert, wenn es irgendwann doch bei Milch bleibt. Vielleicht ist das alles aber auch ein Ausgleich dafür, dass viele halbwegs bekannte Leute doch weniger Geld bekommen als ein Normalbürger vermuten würde und das für prominente so wichtige Selbstwertgefühl daher irgendwie mit Ersatzleistungen aufgepolstert werden muss. Auch ich bekomme gelegentlich Geschenke von Lesern, bisher ist das für mich aber jedes Mal wieder höchst überraschend und überhaupt nicht selbstverständlich, und meistens renne ich dann noch den ganzen Tag mit so einem seligen Grinsen auf dem Gesicht herum, gehe damit anderen Leuten auf den Sack und präsentiere ganz stolz, was für tolle Fans ich habe und die anderen nicht. Sollte das jemals anders werden, holt mich hoffentlich jemand auf den Teppich zurück, bevor ich noch auf die Idee komme, dass ich doch auch 100 Tauben, einen Zauberstab und einen Rolls-Royce verdient hätte. Momentan wäre ich nämlich mit einem Maybach total zufrieden.

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